Dortmund, 31. Oktober 2024
Prof. Dr. Yiyu Shi hat eine Professur für Informatik und Ingenieurwesen an der University of Notre Dame, USA, und ist Direktor des dortigen Sustainable Computing Laboratory. Seine Forschung konzentriert sich auf Deep Learning, Hardwarebeschleunigung und medizinische Anwendungen. Shi ist auch „Visiting Scientist“ am Boston Children's Hospital, dem primären pädiatrischen Programm der Harvard Medical School, und daher mit der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Klinik bestens vertraut. Der 40-jährige Forscher ist der korrespondierende Autor eines Perspective-Artikels in Nature Machine Intelligence zum Thema Ressourcenbewusstseins in der künstlichen Intelligenz für das Gesundheitswesen. Ein Bericht zum Artikel, zu dessen Autor:innen auch ISAS-Forscher Dr. Jianxu Chen zählt, ist am 21. Oktober hier auf ISAS Kompakt erschienen.
Lesetipp
Jia, Z., Chen, J., Xu, X., Kheir, J., Hu, J., Xiao, H., Peng, S., Hu, X.S., Chen, D., Shi, Y.
(2023) The importance of resource awareness in artificial intelligence for healthcare. Nature Machine Intelligence (5): 687-698. https://doi.org/10.1038/s42256-023-00670-0
Professor Shi, glauben Sie, dass sich Krankenhäuser angesichts der Energiekosten nicht nur darauf konzentrieren sollten, die Kosten für die Gebäude und medizinischen Geräte wie MRT zu senken, sondern auch darüber nachdenken sollten, wie sie mit ihren Daten umgehen?
Shi: Ja, natürlich. Energie ist immer ein Problem, weil viele Krankenhäuser ihre Daten lokal speichern müssen. Und das kann in Zukunft ein noch größeres Problem werden, weil nicht jedes Krankenhaus über alle Einrichtungen verfügt, die für ein umfassendes Datenzentrum erforderlich wären. Was die Nutzung der Daten angeht, so möchte man sie analysieren oder modernste Modelle des maschinellen Lernens oder andere fortgeschrittene Techniken anwenden. Aber auch diese verbrauchen eine große Menge an Energie. Deshalb befassen wir uns mit der Nachhaltigkeit dieser Art von KI-Techniken. Wir wollen dazu beitragen, den Energiebedarf für die Datenspeicherung und -analyse gleichzeitig zu verringern.
Wenn Sie an die technologischen Aspekte denken, warum plädieren Sie und Ihre Co-Autor:innen für Recycling und „thinking small“, indem man Algorithmen verwendet, die für winzige Netzwerke entwickelt wurden, oder indem man die Größe der Modelle reduziert?
Shi: Es erfordert eine Menge Ressourcen, ein Modell von Grund auf zu trainieren. Ich verstehe die Idee, denn jedes einzelne Krankenhaus hat seine eigenen spezifischen Daten. Es besteht zwar die Notwendigkeit, ein personalisiertes Modell für jedes einzelne Zentrum oder Krankenhaus zu erarbeiten, aber ich denke, es ist mehr oder weniger Verschwendung, jedes Modell von Grund auf zu trainieren. Man kann von einem vortrainierten Modell ausgehen, das ein gewisses Wissen über ein bestimmtes Problem hat, und es anschließend auf der Grundlage der spezifischen Bedürfnisse feinabstimmen. Das würde eine Menge Ressourcen sparen. Also ja, bis zu einem gewissen Grad können wir recyceln. Auch die Größe des Modells spielt eine Rolle, denn selbst wenn man ein Modell nimmt, das bereits für ein bestimmtes Krankenhaus trainiert wurde, wird jedes Mal, wenn man Inferenzen für diesen Teil durchführen muss, ein großer Energieverbrauch entstehen. Ein kleineres Modell würde nicht unbedingt die gleiche Leistung wie ein Modell regulärer Größe erbringen, aber je kleiner es ist, desto besser ist es im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch. Um es auf den Punkt zu bringen: Am besten ist es, ein Modell zu finden, das gerade groß genug ist, um den Bedarf zu decken, und gleichzeitig nicht zu groß, um die Ressourcen zu sehr zu beanspruchen.
Sie schreiben, dass die Netzwerkinfrastruktur in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens derzeit für große Datenmengen, wie sie zum Beispiel für Deep Learning erforderlich sind, nicht ausgelegt ist. Was wäre nötig, um tiefe neuronale Netze kollaborativ zu trainieren?
Shi: Um beispielsweise die Daten zum Trainieren eines Modells zu teilen, müssen alle persönlichen Patienten-informationen entfernt werden, was immer noch eine Menge Arbeit mit sich bringt. Es gibt allerdings öffentlich zugängliche Datensätze. Es wäre sinnvoll, ein Modell auf irgendeinem öffentlich zugänglichen Datensatz vorzutrainieren. Von diesem Modell ausgehend könnte man es dann an die individuellen Daten eines bestimmten Krankenhauses anpassen. Zumindest in den USA ist es verhältnismäßig einfach, zusammenzuarbeiten und Daten gemeinsam zu nutzen, wenn die Krankenhäuser demselben Träger angehören. Wenn es um Kliniken in verschiedenen Bundesstaaten geht, ist es aufgrund von Datenschutz- und Sicherheitsbedenken viel schwieriger. Meine Vision und die meiner Co-Autor:innen ist, dass es – nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht, sondern auch aus der Sicht der Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsträger – Möglichkeiten für eine übergreifende Vereinbarung geben wird, die eine einfachere gemeinsame Nutzung von Daten oder zumindest eine bestimmte Art von Experimenten zulässt.
Sie fordern mehr medizinische Expert:innen vor Ort, um mit der zunehmenden Zahl medizinischer Bilder, die für das Training der KI-Modelle benötigt werden, Schritt halten zu können und um ein gutes Training zu gewährleisten. Welchen Vorteil haben KI-Modelle gegenüber der Telemedizin, bei der Ärzt:innen die Patient:innen weiterhin aus der Entfernung „sehen“ und die Diagnose stellen?
Shi: Die Telemedizin macht die Gesundheitsversorgung für eine breitere Bevölkerung zugänglich, insbesondere in ländlichen Gebieten. Dennoch gibt es immer noch eine begrenzte Anzahl von Ärzt:innen mit begrenzter Zeit für die Teilnahme. Es gibt also eine Einschränkung, wie stark die Bevölkerung wirklich von der Telemedizin profitieren kann. Mithilfe künstlicher Intelligenz sind zumindest einige Screenings für einfache Gesundheits- probleme unbegrenzt verfügbar. Mein Team und ich arbeiten am Boston Children's Hospital an einer Diag- nose-App für häufige Hauterkrankungen. Unser Ziel ist es, dass wir anhand von KI-Modellen – mithilfe von me- dizinischer Expertise – die App zumindest so trainieren können, dass sie Patient:innen mit hoher Genauigkeit sagen kann, ob sie sofort eine:n Mediziner:in aufsuchen sollten oder ob es sich um Symptome handelt, die nicht dringlich sind und auf einen geplanten Termin warten können. Jeder Mensch, der ein Mobiltelefon besitzt, wird Zugang zu der App haben.
(Das Interview führte Sara Rebein.)