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Neue Ionisierungsmethode: Von offenen Fragen zum geschlossenen Plasma

Dortmund, 25. Juni 2025

Die Massenspektrometrie ist eine der wichtigsten Analysemethoden der medizinischen Chemie. Sie funktioniert nur mit Teilchen, die elektrisch geladen – genauer gesagt ionisiert – sind. Letzteres wird häufig über ein Plasma, ein angeregtes Gas, erreicht. Forschende setzen dabei gerne Edelgase ein, traditionell vor allem Helium, das allerdings jüngst von Lieferengpässen und starken Preissteigerungen geprägt war. Auch war bisher unklar, wie die Ionisierung im Plasma im Detail funktioniert. Doch ISAS-Wissenschaftler:innen haben eine Serie von Studien veröffentlicht, die nicht nur neues Licht auf den Ionisierungs-Mechanismus werfen, sondern auch zu einer neuen Variante geführt haben: Ihr „geschlossenes Mikroröhrenplasma“  (closed µ-tube plasma, CµTP) kommt ohne kontinuierlichen Gasfluss aus und ist damit besonders ressourcensparend.

Für die Ionisierung per Plasma setzen Forschende beispielsweise die Technik der dielektrisch behinderten Entladung ein, bei der zwei Metallelektroden voneinander durch ein geeignetes Material isoliert unter Wechselspannung gesetzt werden. Dabei baut sich im Gasraum zwischen den Elektroden ein elektrisch leitendes Plasma auf, und das bei Raumtemperatur. Eine Variante davon ist das am ISAS entwickelte „flexible Mikroröhrenplasma" (flexible microtube plasma, FμTP). Dabei entsteht das Plasma in einer feinen, flexiblen Glaskapillare, durch die kontinuierlich ein Edelgas strömt. Am Ende der Kapillare und damit außerhalb des Plasmas können Proben-Moleküle zugeführt und besonders schonend oder „weich“ ionisiert werden. Das ist gerade bei der Analyse von medizinisch relevanten Groß-Molekülen wie Proteinen und Lipiden wichtig. Bei anderen Analysemethoden würden diese leicht zerfallen, was ihre Identifizierung durch Massenspektren erschweren oder sogar verhindern kann.

Besonders geeignet für die weiche Ionisierung sind Edelgase wie Helium, da sie chemisch inert sind, also ungern mit anderen Stoffen reagieren. Darüber hinaus können metastabile Heliumatome – langlebige, angeregte Heliumatome – andere Moleküle effektiv ionisieren. Jahrelang waren Forschende davon ausgegangen, dass die weiche Ionisierung über eine Kette von Kollisionen abläuft: Bei der sogenannten Penning-Ionisierung prallen Metastabile auf Stickstoffmoleküle aus der Umgebungsluft. Die dadurch positiv geladenen Stickstoffionen kollidieren und ionisieren daraufhin mit Wassermolekülen in der Luft, die schließlich durch weitere Zusammenstöße wiederum die zu untersuchenden Substanzen ionisieren. „Das ist der Mechanismus, der in Lehrbüchern zitiert wird“, sagt Luisa Speicher, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Miniaturisierung.

Luisa Speicher am Massenspektroemter. In der Hand hält sie eine Probenhalterung.

Luisa Speicher, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Miniaturisierung, kennt die Massenspektrometer und Ionisierungsquellen am ISAS in- und auswendig.

© ISAS / Hannes Woidich

Die Erklärung erschien plausibel, da ein Helium-Plasma ein hohes Energieniveau aufweist und diese Energie effektiv an die energetisch niedrigeren Stickstoff- und Wassermoleküle abgeben kann. Allerdings belegen Experimente immer wieder, dass auch Edelgase wie Krypton und Xenon Analysesubstanzen im Plasma gut ionisieren. Die Energieniveaus dieser Gase liegen jedoch zu niedrig, um Stickstoff wie beschrieben anzuregen – der alte Erklärungsansatz konnte also nicht für alle Edelgase stimmen.

Wie eine Serie von Stop-Motion-Aufnahmen

Um herauszufinden, was tatsächlich vor sich geht, entwickelten die Wissenschaftler:innen der Forschungsgruppe Miniaturisierung eine Analysemethode namens „Plasma Optical Emission Phoresis Spectroscopy" (POEPS). Damit konnten sie in einem FμTP erstmals genau verfolgen, wie die geladenen und angeregten Teilchen im Plasma zeitlich und räumlich aktiviert werden. Die Methode funktioniert ähnlich wie eine Serie von Stop-Motion-Aufnahmen: Die Forschenden nehmen das Leuchten auf, das vom Plasma ausgestrahlt wird. Dieses Leuchten enthält verschiedene Farben (Wellenlängen), da jede Art von Teilchen im Plasma bei Anregung Licht mit charakteristischen Farben aussendet – vergleichbar mit einem Feuerwerk, bei dem unterschiedliche chemische Elemente verschiedene Farbeffekte erzeugen. Mit einer speziellen Kamera zeichnen die Wissenschaftler:Innen diese farbigen Lichtsignale auf und erfassen dabei präzise, wann und wo welche Farbe mit welcher Intensität erscheint.

Cayian Tian justiert die Gaszufuhr am Plasma.

Um das Aufleuchten des Plasmas aufzuzeichnen arbeitet Caiyan Tian, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Miniaturisierung, häufig im Dunkeln.

© ISAS / Hannes Woidich

Die Aufnahmen analysieren die Forschenden auf zwei verschiedene Weisen: In der ersten Analyse betrachten sie die zeitliche Dimension – wie sich die Helligkeit der verschiedenen Farben im Zeitverlauf verändert. Dies verrät ihnen, in welcher Reihenfolge und mit welcher Dynamik die verschiedenen Teilchen im Plasma aktiviert werden. In der zweiten Analyse konzentrieren sie sich auf die räumliche Dimension – an welchen Stellen der dünnen Glasröhre die Teilchen energiereich oder elektrisch geladen werden. „Dieses Vorgehen erleichtert es, auch kleine Unterschiede zu beobachten, die in den sonst verwendeten zweidimensionalen Farbdarstellungen überlagert sind", erläutert Caiyan Tian, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Miniaturisierung. Die Wissenschaftler:innen veröffentlichten ihre neue Methode im Journal Spectrochimica Acta Part B: Atomic Spectroscopy.

Die POEPS-Messungen deuten darauf hin, dass die Ionisierung außerhalb der Kapillaren nicht durch Stöße zwischen Gasteilchen des Plasmas und der Umgebungsluft, sondern vielmehr durch eine kurzzeitige punktuelle Potenzialänderung verursacht wird. Im Journal Analytical and Bioanalytical Chemistry führten die Forscher:innen diese Hypothese aus: Demnach lagern sich innerhalb der Plasmakapillare Ionen an der Glaswand ab und polarisieren das Glas. Das sich dabei aufbauende elektrische Feld ist stark genug, dass es auch außerhalb der Kapillare Moleküle durch Elektronenstoß ionisiert.

Detailaufnahme des Closed Microtube Plasmas.

Das Closed µ-tube plasma (CµTP) schließt das Diagnosegas, in diesem Fall Neon, vollständig ein. Somit kommt es ohne kontinuierlichen Gasfluss aus, ist günstiger als seine Vorgängerversion und darüber hinaus portabel.

© Daniel Foest

Zum Test setzten die Wissenschaftler:innen statt Umgebungsluft Helium als „Diagnosegas" außerhalb der Plasmakapillare ein. Sie beobachteten: Selbst durch eine Glaswand wurde das Helium angeregt – ein klarer Hinweis, dass nicht der direkte Kontakt des Plasmagases mit der Umgebung die Ionisierung verursachte. Die Glaswand schließe auch andere mögliche Mechanismen wie die Photoionisierung aus, sagt Speicher. „Wenn Photonen die Ionisierung verursachen würden, könnten wir durch die Glaswand keine Effekte mehr beobachten." Das Experiment hat die Gruppe ebenfalls im Journal Analytical and Bioanalytical Chemistry publiziert. Auf den Erkenntnissen aufbauend entwickelten die ISAS-Forschenden eine noch effizientere Plasmaquelle für die Massenspektrometrie. Während beim FμTP stetig Gas durch die Kapillare strömt und das sich aufbauende Plasma teilweise aus der Röhre austrat, gelang es nun, das Plasma vollständig in eine verschlossene Glasröhre einzuschließen. „Irgendwann kamen wir auf die Idee, dass wir die Röhre komplett zuschweißen können – quasi wie eine kleine Miniatur-Leuchtstoffröhre", resümiert Speicher.

Das neue Closed µ-tube plasma, CµTP, erreicht eine ähnliche Ionisierungseffizienz wie seine Vorgängertechnik – allerdings ohne, dass man kontinuierlich Gas nachführen muss. „Damit wird die Ionisierungsquelle nicht nur kostengünstiger, sondern auch portabel“, sagt Tian. „Außerdem ist sie so kompakt, dass sie sich als zusätzliches Ionisierungsmodul mit anderen Ionisierungsquellen kombinieren lässt." Die neue Technik, vorgestellt im Journal Analytical and Bioanalytical Chemistry, ist bereits patentiert. Die Forschenden arbeiten nun daran, die neue Mikroplasma-Quelle für die bildgebende Massenspektrometrie zu optimieren.

Wirtschaftliche Ionenquelle

Eine Ionenquelle, die ohne kontinuierlichen Gasfluss auskommt, könnte nicht nur wissenschaftlich, sondern auch wirtschaftlich bedeutsam sein. Die Kosten für Helium haben sich in den letzten Jahren teils verdoppelt und manche Labore mussten zeitweise sogar Geräte stilllegen, weil das Gas rationiert wurde.

(Ute Eberle)

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