Zum Inhalt springen

„Es gilt, das Leben von Krebspatient:innen ohne zusätzliche Schäden zu verlängern“

Dortmund, 30. August 2022

Über die Hintergründe der Forschung rund um Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) und deren Auswirkung auf das Herz spricht Prof. Dr. Tienush Rassaf, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikums Essen, im Interview.

Als Kardiologe diagnostizieren und behandeln Sie Menschen mit verschiedenen Herzerkrankungen. Gleichzeitig beschäftigen Sie sich seit mehreren Jahren auch mit Krebstherapien, die auf dem Einsatz von ICI beruhen. Worin besteht bei der Therapie von Krebs- und Herzerkrankungen ein Zusammenhang?

Rassaf: Die mit ICI behandelten Krebspatient:innen haben häufig mit mehr oder weniger starken Nebenwirkungen zu kämpfen, die verschiedene Organe betreffen können, nicht selten das Herz. Wir wollen verstehen, woran das genau liegt.

Wie häufig treten diese Nebenwirkungen auf?

Rassaf: Im ersten Jahr ihrer Behandlung zeigen bis zu zehn Prozent der Krebskranken solche schweren immunvermittelten Nebenwirkungen.

In der 2021 im European Heart Journal veröffentlichten Arbeit konnten Sie und Ihre Co-Autor:innen zeigen, dass sich Herzschäden vermeiden lassen, wenn der Tumornekrosefaktor-α, kurz TNF-α, zuvor gehemmt wird. Wie sind Sie darauf gekommen, diesen Zusammenhang zu erforschen?

Rassaf: In früheren Studien gab es Hinweise auf die Beteiligung von TNF-α im Darmbereich und Versuche, die zu ähnlichen Ergebnissen führten. Diesem Ansatz sind wir beim Herzen in den letzten vier Jahren nachgegangen. Unser Ziel ist weiterhin vor allem, einen therapeutischen Ansatz zu entwickeln, mit dem wir einerseits den Krebs wirksam behandeln – etwa durch neue Medikamente –und andererseits die negative Seite der Behandlung mit Nebenwirkungen und Folgeschäden ausschließen. Es gilt, das Leben von Krebspatient:innen zu verlängern, ohne zusätzliche Schäden durch die Immuntherapie hervorzurufen.

Prof. Dr. Tienush Rassaf.

Prof. Dr. Tienush Rassaf ist Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikums Essen.

© Universitätsklinikum Essen

Lesetipp

Michel L, Helfrich I, Hendgen-Cotta UB, Mincu R-I, Korste S, Mrotzek SM, Spomer A, Odersky A, Rischpler C, Herrmann K, Umutlu L, Coman C, Ahrends R, Sickmann A, Löffek S, Livingstone E, Ugurel S, Zimmer L, Gunzer M, Schadendorf D, Totzeck M, Rassaf T. Targeting early stages of cardiotoxicity from anti-PD1 immune checkpoint inhibitor therapy. European Heart Journal, Bd. 43, Nr. 4, S. 316–329. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab430

Haben Sie außer TNF weitere »Kandidaten« für Arzneimittel im Blick, um Schäden am Herzen oder an anderen Organen während der Tumortherapie zu verhindern?   

Rassaf: Ja, da gibt es schon weitere Überlegungen. Dazu wollen wir 2022 neue Untersuchungen im präklinischen Bereich, also etwa im Tiermodell oder in Zellkulturen, durchführen. Ergebnisse liegen daher naturgemäß noch nicht vor. Bei dieser Forschung arbeiten wir eng mit dem ISAS zusammen. Das Institut liefert uns durch seine Multi-Omics-Analysen wichtige biochemische und physiologische Daten, zum Beispiel für das Verständnis der Nebenwirkungen. Wir wollen uns in den nächsten Jahren der Frage widmen, wie Immuntherapien genau wirken.

Gibt es diesbezüglich weitere Forschungspartner?   

Rassaf: Ja, außer mit dem ISAS kooperieren wir hier vor Ort mit der Tumorklinik und der Nuklearmedizin bzw. Radiologie. Darüber hinaus besteht ein Austausch mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Universitätsklinikum Köln.

An welchen weiteren Projekten forschen Sie gegenwärtig noch?   

Rassaf: Bei uns laufen derzeit zwei Studien. Die erste geht der Frage nach, wie sich das Leben von Krebspatient:innen mit Herzschäden verlängern lässt. Bei der zweiten Studie geht es um Sport, genauer gesagt um sportliche Aktivität als mögliches Mittel zur Vorbeugung frühzeitiger Herzschäden.

Wie sehen Sie die wissenschaftliche Arbeit der nächsten Jahre?   

Rassaf: Wir haben in Kooperation mit dem ISAS im Jahr 2021 zwei gemeinsame Professuren ausgeschrieben. Beide könnte man mit dem Titel »Individualisierung der Medizin« überschreiben. Eine dieser Professuren ist vollumfänglich beim ISAS in Dortmund angesiedelt. Die Aufgabe dort wird darin bestehen, Proben von Patient:innen mittels Multi-Omics-Analysen eingehend zu untersuchen, um daraus detaillierte und neue Informationen über den Stoffwechsel einzelner Patient:innen zu gewinnen. Darauf baut die andere Professur am Universitätsklinikum auf. Sie soll zur Entwicklung neuer Behandlungsverfahren in der Kardiologie führen. Unser gemeinsames Ziel ist letztlich eine Therapie nach Maß, individuell abgestimmt auf jede:n Patient:in.

PROF. DR. TIENUSH RASSAF

ist seit 2015 Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum der Universität Duisburg-Essen. Zum Behandlungsspektrum seiner Klinik gehören  alle Bereiche der kardiovaskulären Medizin inklusive sämtlicher Therapien bei koronarer Herzerkrankung, Herzrhythmusstörungen, Herzklappenerkrankungen, Herzinsuffizienz, Aortenerkrankungen, angeborenen Herzfehlern sowie die Notfall- und Intensivmedizin. Rassaf ist einer der Initiatoren der 2018 gegründeten bundesweiten Arbeitsgruppe Onkologische Kardiologie.

(Das Interview führte Dr. Thomas Krämer.)

Teilen

Weitere Beiträge

30. April 2025

Humboldt-Stipendiat Prof. Dr. Xiaowei Xu forscht seit März am ISAS

Prof. Dr. Xiaowei Xu vom chinesischen Guangdong Cardiovascular Institute forscht an der klinischen Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Kontext kardiovaskulärer Erkrankungen. Für insgesamt 18 Monate forscht er als Humboldt-Stipendiat am ISAS an verschiedenen KI-Methoden für die Analyse von Zellaufnahmen.

Prof. Dr. Xiaowei Xu vor dem ISAS Gebäude am Standort City.
22. April 2025

Wertvolle Verbindungen: Dr. Mohammad Ibrahim AlWahsh

Dr. Mohammad Ibrahim AlWahsh arbeitete während seiner Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISAS. Mittlerweile ist er Prodekan der Fakultät für Pharmazie und Assistenzprofessor für Toxikologische Pathologie an der Al-Zaytoonah University in Jordanien. In der Komapkt-Reihe "Wertvolle Verbindungen" berichtet er von seiner Zeit am ISAS und der anhaltenden Vernetzung mit dem Institut.

Mohammad Alwahsh.
9. April 2025

Bakterien & Bonbons: Schülerinnen untersuchen beim Girls‘ Day ihre Atemluft

Beim Girls' Day 2025 haben zwölf Schülerinnen die Arbeit der Forscherinnen und Technischen Assistentinnen am Institut kennengelernt. Sie haben sich mit der Ursache und Bekämpfung von Entzündungen beschäftigt, sind auf die Jagd nach Bakterien gegangen und haben mittels Ionenmobilitätsspektrometrie Duftstoffe verschiedener Bonbons in ihrer Atemluft analysiert.

Luisa Speicher erklärt drei Mädchen den Vortexmischer.
27. März 2025

Wertvolle Verbindungen: Dr. Jianxu Chen

Dr. Jianxu Chen leitet seit 2021 die Nachwuchsgruppe AMBIOM – Analysis of Microscopic BIOMedical Images am ISAS. Zuvor war er am Allen Institute for Cell Science in Seattle, USA tätig. In der ISAS Kompakt Reihe „Wertvolle Verbindungen“ berichtet der Computerwissenschaftler von seinem Wechsel in die Gesundheitsforschung und nach Deutschland.

Portrait von Dr.  Jianxu Chen.
12. März 2025

Innovative Massenspektrometrie erspart doppelte Analysegänge

Unpolare Stoffe wie Cholesterin zusammen mit polaren Substanzen zielgenau und schnell massenspektrometrisch nachweisen? Und das in nur einem Analysedurchgang? Das ermöglicht eine neue Kombinationsmethode, welche zwei Ionisierungsquellen in einem Aufbau vereint.

Daniel Foest steht im Labor und hält ein Papier mit einer Leberprobe, die er am Massenspektrometer untersucht.
26. Februar 2025

Was machst du am ISAS, Leon?

Was haben Marshmallows und Schokolade mit der Analyse von Zellen zu tun? Das darf Leon bei seinem Schülerpraktikum am ISAS herausfinden. Was der 15-jährige außerdem während seiner Zeit am Institut lernt, berichtet er bei ISAS Kompakt.

Leon hält Marshmallows, Schokolade und die Hardware für sein Projekt zur Bilderkennung.
14. Februar 2025

Valentinstag: Perfekte Paare im Labor

Was die Herzen unserer Forschenden höherschlagen lässt, wollte die Redaktion von ISAS Kompakt am Valentinstag wissen. Die Beispiele aus den Laboren der Forschungsgruppen Bioimaging und NMR Metabolomics zeigen: besondere Verbindungen gibt es nicht nur in der Liebe, sondern auch in der Wissenschaft.

Porträt von Dr. Themistoklis Venianakis.
4. Februar 2025

Wertvolle Verbindungen: Adrian Sebuliba

Adrian Sebuliba ist seit 2023 als Software-Ingenieur in der ISAS-Nachwuchsgruppe AMBIOM tätig. Zuvor arbeitete er für eine Digital-Commerce-Plattform für die chemische Industrie in Uganda. In der ISAS Kompakt Reihe „Wertvolle Verbindungen“ berichtet er unter anderem von seinem Wechsel in die Gesundheitsforschung.

Portrait von Adrian Sebuliba.
28. Januar 2025

Ein kleiner, aber sehr wichtiger Schritt

Susmita Ghosh forscht seit Oktober 2021 in der Arbeitsgruppe Biofluoreszenz am ISAS. Für ihr Pilotprojekt »Dissecting the neutrophil-tumor cell interactome using SILAC-labelling« hat die Doktorandin nun die erste Förderung ihrer Karriere erhalten.

Portrait Susmita Ghosh.