Dortmund, 24. Mai 2022
Die Mikroskopie ist nur eines von vielen Anwendungsfeldern in der medizinischen Bildgebung, aus denen Künstliche Intelligenz (KI) bei der Verarbeitung enormer Datenmengen kaum mehr wegzudenken ist. Weil der Mensch kognitiv trotz bestehender Programme zur Bildauswertung an seine Grenzen kommt, entwickeln die KI-Experten am ISAS Augen und Gehirne für Computer. Warum die interdisziplinäre Zusammenarbeit ihrer Forschungsgruppen unerlässlich ist und worin die Vorteile liegen, berichten Prof. Dr. Anika Grüneboom, Leiterin Bioimaging, und Dr. Jianxu Chen, Leiter der Nachwuchsgruppe AMBIOM, jeweils in ihren Statements.

Prof. Dr. Anika Grüneboom (links) und Dr. Jianxu Chen sprechen über Aufnahmen von Blutgefäßen im murinen Mandibel (Unterkiefer der Maus), die zuvor am Lichtblatt-Fluoreszenzmikroskop entstanden sind.
© ISAS
Prof. Dr. Anika Grüneboom, Leiterin Bioimaging
„Die Zellen in unseren Blutgefäßen sprechen miteinander. Wie sie sich miteinander austauschen, wie weit sie voneinander entfernt sind, all das liefert uns wichtige Erkenntnisse zu entzündlichen Erkrankungen. Dabei kommunizieren die Zellen unseres Immunsystems sowohl miteinander, als auch mit den Endothelzellen, die die innerste Schicht der Blutgefäße auskleiden. Diese Kommunikation steuert, wo sich die Immunzellen an die Blutgefäße heften, durch sie hindurch wandern und anschließend in das umliegende Gewebe gelangen, um dort die Entzündung zu bekämpfen. Bei Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis führt die Gewebeinfiltration der Immunzellen allerdings nicht zum Abheilen der Entzündung, sondern verschlimmert diese und führt letztlich dazu, dass die Erkrankung chronisch wird. Wir möchten also Kriterien definieren, mit denen man in Zukunft im Blut oder Gewebe jedes einzelnen Menschen diese Prozesse vor dem eigentlichen Krankheitsausbruch erkennen kann – also lange bevor diese Entzündungen chronisch werden.
Dafür untersuchen wir in meiner Arbeitsgruppe beispielsweise die Innenschicht der Blutgefäße unter dem Lichtblattfluoreszenz-Mikroskop. Wir erforschen, welche Zellen an den Entzündungsprozessen beteiligt sind, wie die Zellwände aussehen, wie weit die Zellen voneinander entfernt sind und wie die Zellen untereinander kommunizieren. Das Lichtblattfluoreszenz-Mikroskop weitet den Laserstrahl wie ein Blatt Papier auf. Diese dünne Lichtscheibe, die dabei entsteht, beleuchtet jede einzelne Ebene unserer Proben und macht von jeder Ebene eine Aufnahme. Die einzelnen Aufnahmen setzen wir später am Computer zu einem 3D-Modell zusammen. Aus einer einzelnen Probe unter dem Mikroskop entstehen durchschnittlich weit über 500 Bilder. Im Schnitt arbeiten wir mit mehr als 20 Proben pro Versuchsreihe. Die vielen Aufnahmen, die das Mikroskop macht, sind für uns eine große Herausforderung. Obwohl es heute schon Computerprogramme gibt, verbringen wir Forscher:innen immer noch sehr viel Zeit damit, die ganzen Informationen aus diesen Bildern auszuwerten. Hier kann uns Künstliche Intelligenz sehr viel besser weiterhelfen als ein einzelnes Computerprogramm.“
Was bedeutet KI für die Analyse von Mikroskop-Aufnahmen?
Um die Zusammenarbeit zwischen den Forschungsgruppen Bioimaging und AMBIOM geht es auch in diesem Video.
Dr. Jianxu Chen, Leiter AMBIOM
„Kommunikation ist der Schlüssel – nicht nur zwischen den Zellen in unserem Körper, sondern auch zwischen unseren Arbeitsgruppen. Mit künstlicher Intelligenz (KI) können wir Unmengen an Daten zusammenführen. Es gibt hauptsächlich drei wichtige Dinge, die intelligente Maschinen beherrschen, die der Menschen einfach nicht schafft. Deshalb gibt es ein großes Potenzial für eine tiefere Synergie zwischen mikroskopischen Bildanalysen und KI.
Zunächst einmal können wir mithilfe von KI weitaus mehr Bilder analysieren und somit einen höheren Durchsatz erzielen als mit einem gewöhnlichen Computerprogramm. Intelligente Maschinen können große Mengen von Bildern mit einem präzisen Ergebnis analysieren. Zweitens ist es ein großer Vorteil, dass KI Dinge sehen kann, die für das menschliche Auge unsichtbar bleiben. KI ist in der Lage, jede Information in den Aufnahmen zu interpretieren. Zum Beispiel kann das menschliche Auge sich die Bilder ansehen und sich dabei auf die Dicke der Blutgefäße konzentrieren. KI hingegen kann dieselben Bilder betrachten, aber mehr auswerten: nicht nur die Dicke der Blutgefäße, sondern auch, wie rau ihre Oberfläche ist, was neben den Zellwänden passiert und noch viel mehr. Drittens: Unser menschliches Gehirn ist begrenzt aufnahmefähig, während intelligente Maschinen keine Einschränkung haben. Sie sind in der Lage, Informationen zu extrahieren und Wissen aufzubauen, das das menschliche Gehirn kaum verarbeiten kann. Deshalb programmiert meine Forschungsgruppe Algorithmen, die als Augen und Gehirne für Computer dienen.
Wenn wir unserer Algorithmen entwickeln, achten wir darauf, dass sie genau und gleichzeitig nachhaltig im Hinblick auf die Nutzung von Energieressourcen sind. Entscheidend ist auch, dass wir an eine transparente Wissenschaft glauben. Deshalb sind unsere Analysen vollständig reproduzierbar, denn die Arbeit meines Teams basiert auf Open Source. Für uns am ISAS ist es wichtig, dass Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt Zugang zu den KI-Methoden haben, die wir hier in Dortmund entwickeln.“
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die MSCoreSysassoziierte Nachwuchsgruppe AMBIOM – Analysis of Microscopic BIOMedical Images unter dem Förderkennzeichen 161L0272.