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SARS-CoV-2: Neueste Methoden klären Wirkstoffe und Wirkprinzip uralter Selbstmedikation auf

Dortmund, 20. Februar 2024

Während der SARS-CoV-2-Pandemie standen binnen kurzer Zeit wirksame und sichere Impfstoffe für breit angelegte Impfprogramme gegen COVID-19 zur Verfügung – zumindest in den reichen Industrienationen. Diese Entwicklung war nur durch eine erhebliche Kraftanstrengung und den Einsatz beträchtlicher finanzieller Ressourcen für Forschung, Produktion und Verteilung möglich. Mit Blick auf zukünftige Endemien oder Pandemien wären weltweit verfügbare, kostengünstige und effektive antivirale Wirkstoffe zur Prophylaxe und Behandlung – insbesondere in der frühen Phase des Ausbruchs – wünschenswert.

Der Naturmedizin sind einige prophylaktische, lindernde oder gar heilende Substanzen, meist Naturstoffe, seit Urzeiten bekannt. So wenden Menschen bereits seit tausenden von Jahren bei Atemwegsinfektionen traditionell Tees als Haushaltmittel und Selbstmedikation bzw. zur Linderung der Symptome an. Beispielsweise in Europa wird Salbei als Heil- und Kräuterteepflanze (s. Infobox) gegen bakterielle Erkältungs- und Atemwegserkrankungen geschätzt. Perilla ist mit ihren Variationen vor allem in Asien beliebt und weit verbreitet. Die antimikrobielle Wirkung von Extrakten beider Pflanzen ist beschrieben. Doch wie sieht es bei viralen Infekten aus? Lassen sich Tees aus Salbei (Salvia officinalis) oder Perilla (Perilla frutescens) auch – vorbeugend oder heilsam – gegen Infektionen mit dem Coronavirus einsetzen? Diesen Fragen ging ein interdisziplinäres Team aus Forschenden um Prof. Dr. Mirko Trilling von der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen (UDE) und Wissenschaftler:innen am ISAS während der Coronavirus-Pandemie nach.

PFLANZENTEES

Die traditionelle Medizin kennt bei Atemwegserkrankungen wie Bronchitis oder Pneumonie eine Reihe von Pflanzen mit heilender Wirkung. Darunter finden sich viele Vertreter der Familie der Lamiaceae (Lippenblütler). Zur dieser Pflanzengattung gehören viele Küchen- und Gewürzkräuter mit einem hohen Gehalt an ätherischen Ölen: Basilikum, Lavendel, Majoran, (Pfeffer-)Minze, Oregano, Rosmarin und Thymian. Das Forschenden-Team um Prof. Dr. Mirko Trilling konnte eine antivirale Aktivität nicht nur bei Perilla und Salbei nachweisen, sondern auch in Aufgüssen zweier anderer Lippenblütler wie Thymian und Minze. Letztere Zwei enthalten eine hohe Konzentration an Kaffeesäure. Auch Aufgüsse mit herkömmlichen Pfefferminz-Teebeuteln zeigten diese Wirkung.

Hemmung aller getesteten Varianten von SARS-CoV-2?

„Ich wusste von meiner Schwiegermutter, dass ein Aufguss von Perilla-Blättern in Vietnam als Erkältungstee getrunken wird“, erinnert sich der Virologe an die Vorgeschichte der Analysen. Er ergänzt: „Wir haben bereits vor der COVID-19-Pandemie untersucht, ob ein solcher Tee gegen Herpes-simplex-Viren wirksam ist. Doch gegenüber dem humanen Herpesvirus Typ 1 hat sich keine Wirkung gezeigt.“ Mit dem Ausbruch der Pandemie griff Dr. Vu Thuy Khanh Le-Trilling, Erstautorin der Studie, das Thema wieder auf. Zur großen Überraschung der Forschenden stellte sich heraus, dass Perilla- und Salbeitee in Zellkultur gegen SARS-CoV-2 sogar in hohen Verdünnungen wirksam sind. Die Wirkstoffe sind also in der Lage, menschliche Zellen vor einer Infektion zu schützen. Es musste sich somit um hitzestabile Verbindungen in einem Substanz-Cocktail handeln. Wie sich im Verlauf der weiteren Analysen herausstellen sollte, war die Hemmung der Virus-Replikation dabei keineswegs auf eine Variante von SARS-CoV-2 beschränkt.

Das Bild zeigt Prof. Dr. Mirko Trilling mit verschränkten Armen, an einer Wand lehnend. The picture shows Prof Dr Mirko Trilling with his arms folded, leaning against a wall.

Prof. Dr. Mirko Trilling ist Virologe und hat eine Professur an der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen inne. Mit seiner Arbeitsgruppe forscht er am Institut für Virologie am Universitätsklinikum Essen. Schwerpunkte seiner Forschung sind antivirale Mechanismen und die Strategien, mit denen Viren versuchen, diesen zu entgehen.

© UDE/ Frank Preuß

Kaffeesäure, Perilla-Aldehyd und Perilla-Alkohol

„Unsere Tests mit Messungen vor und nach der Infektion mit SARS-Cov-2 haben wir in Zellkulturen durchgeführt. Wir haben dafür sowohl eine humane Zelllinie als auch Zellen der Grünen Meerkatze verwendet“, sagt Trilling. Die Zellen wurden unterschiedlich lang mit Teeproben vorbehandelt, im Anschluss mit dem neuen Coronavirus infiziert und wiederum zu verschiedenen Zeiten weiter inkubiert. Um die antiviralen Wirkstoffe in den Pflanzentees aufzuspüren, machten sich die Forschenden zunächst daran, die darin vorkommenden Biomoleküle nach Größe zu sortieren. Anschließend fraktionierten sie diese und testeten danach, ob die Fraktionen die virale Replikation hemmten.

In der Fraktion mit einer Molekülmasse von unter 1.000 Dalton wurden die Wissenschaftler:innen fündig. Schließlich gelang es ihnen, drei antivirale Verbindungen in den Pflanzentees nachzuweisen: Kaffeesäure, Perilla-Aldehyd und Perilla-Alkohol. Die Kombination der drei Substanzen erhöhte die antivirale Wirkung gegen SARS-CoV-2 sogar zusätzlich. Ein synergistischer Effekt, wie weitere Versuche belegten. Pflanzentees auf Perilla- wie auf Salbei-Basis zeigten in vitro gegenüber der Coronavirus-Varianten Alpha, Beta, Delta und Omikron eine antivirale Wirkung. Diese antiviralen Effekte waren unter den gewählten Laborbedingungen mit denen von Interferon-β sowie des bei COVID-19 mitunter eingesetzten Medikaments Veklury® (Remdesivir) (s. Infobox) vergleichbar bzw. ihnen sogar überlegen.

WIRKSTOFF REMDESIVIR

Beim Arzneimittel Veklury® handelt es sich um ein Virostatikum, das heißt, der enthaltene Wirkstoff Remdesivir hemmt die Vermehrung von Viren wie Ebolavirus, SARS-CoV-2 etc. Für die Behandlung von COVID-19 hat das Medikament seit Juli 2020 in Europa eine bedingte Zulassung. Mediziner:innen dürfen es bei Erwachsenen und Jugendlichen (Mindestgewicht 40 Kilogramm) mit COVID-19 und einer Pneumonie (Lungenentzündung), die zusätzlich Sauerstoff, jedoch keine invasive Beatmung erfordert, einsetzen. 

Zielmolekül für neue antivirale Therapien entdeckt

Um beurteilen zu können, ob und wie sich der Protein-Bestand in den Zellen mit und ohne Teezusatz sowie vor und nach der Infektion mit SARS-CoV-2 verändert, war eine umfassende massenspektrometrische Untersuchung die Methode der Wahl. Die damit mögliche Analyse des Proteoms (Gesamtheit aller Proteine in der untersuchten Zelle) führten Forschende am ISAS durch. Die Bestimmung der Proteinmengen sollten Aufschluss über den Effekt von Pflanzenextrakten auf das Proteom der Zellen bringen. Die vergleichende Analyse der MS-Ergebnisse führte schließlich auf die Spur des Proteins Hämoxygenase (HMOX-1). Bei HMOX-1 handelt es sich um ein Enzym, das an der zellulären Antwort auf oxidativen Stress beteiligt ist.

Le-Trilling, V. T. K., Mennerich, D., Schuler, C., Sakson, R., Lill, J. K., Kasarla, S. S., Kopczynski, D., Loroch, S., Flores-Martinez, Y., Katschinski, B., Wohlgemuth, K., Gunzer, M., Meyer, F., Phapale, P., Dittmer, U., Sickmann, A., & Trilling, M.

(2022). Identification of herbal teas and their compounds eliciting antiviral activity against SARS-CoV-2 in vitro. BMC Biology, 20(1), 264. https://doi.org/10.1186/s12915-022-01468-z. 

Im Ergebnis stiegen die Konzentration und Aktivität von HMOX-1 in infizierten Zellen an, die mit Perilla- oder Salbeitee kultiviert worden waren. „Das war aber erst nur eine Korrelation, die wir gesehen haben“, erläutert Trilling. Der Evidenznachweis der Wirksamkeit von HMOX-1 gelang den Forschenden mit dem Einsatz der HMOX-1 induzierenden Substanzen Sulforaphan und Fraxetin. Beide erhöhen bekanntlich die Menge von HMOX-1 und zeigten ebenfalls eine antivirale Wirkung. Kombiniert man nun im Infektionsversuch suboptimale Dosen von Fraxetin mit Perilla oder Salbei, so führt dies zu einer starken antiviralen Wirkung. Die gewonnenen Resultate verdeutlichten schließlich, dass das Protein HMOX-1 hauptverantwortlich ist – und damit als Mediator der antiviralen Wirkung beider Pflanzentees gilt. Mit den Ergebnissen ihrer Analyse haben die Essener und Dortmunder Wissenschaftler:innen einen neuen molekularen Ansatzpunkt (Target) für zukünftige antivirale Therapien entdeckt. 

(Dr. Thomas Krämer)

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