Dortmund, 10. August 2022
Neutrophile Granulozyten – kurz Neutrophile – gehören zu den weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und können Tumoren wachsen lassen, obwohl sie als körpereigene ‚Polizei‘ eigentlich das Gegenteil bewirken sollten. Um zu verstehen, wieso Neutrophile nicht nur tumorinhibierend, sondern auch tumorfördernd sein können, will Susmita Ghosh (Arbeitsgruppe Biofluoreszenz) den molekularen Aufbau dieser Immunzellen in Tumoren entschlüsseln. Für die Analyse mittels Massenspektrometer stehen der 25-Jährigen allerdings nur wenige Proben von Mäusen zur Verfügung. Um Fehler, die das Biopsiematerial unbrauchbar machen würden, zu vermeiden, soll Ghosh künftig ein Roboter unter die Arme greifen. Unterstützung bekommt sie dabei von Julia Sophie Rauch, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Proteomics. Gemeinsam arbeiten die Nachwuchswissenschaftlerinnen daran, den Roboter die gesamte Probenanalyse – vom Pipettieren bis hin zur Peptid-Aufreinigung – präzise und schnell übernehmen zu lassen.
Als Immunzellen der angeborenen, unspezifischen Immunantwort sind Neutrophile unverzichtbar. Sie wehren beispielsweise Infektionserreger ab oder bekämpfen Entzündungen. Bei einem Tumor reagiert der Körper unter anderem dadurch, dass die Blutstammzellen im Knochenmark mehr Neutrophile bilden. Dass diese Immunzellen schnell wandern können, aber unspezifisch in ihrer Reaktionsweise sind, verschafft ihnen eine wichtige Rolle in der Karzinogenese, also dem Prozess, der Tumoren entstehen und wachsen lässt. Neutrophile dringen – angezogen durch Signalproteine der Krebszellen – in die Tumormikroumgebung ein. Beeinflusst durch molekulare Prozesse können diese tumorassoziierten Neutrophilen (TAN) im Tumormilieu sowohl tumorfördernde, als auch tumorinhibierende Effekte haben. Erstere sind für Krebspatient:innen gefährlich. Tumorfördernde TAN lassen Tumore wachsen, begünstigen Metastasen und senken die Erfolgsaussichten einer Chemotherapie.
Wie sich diese beiden TAN-Typen auf molekularer Ebene unterscheiden, ist derzeit unbekannt. Für ihre Doktorarbeit untersucht Ghosh daher die Art und Menge der Proteine in den Neutrophilen. Ihr Ziel ist es, die Proteine zu identifizieren, die charakteristisch für die jeweiligen TAN sind. So möchte die Biologin, die seit Oktober 2021 am ISAS promoviert, letztlich Angriffspunkte (Targets) für neue Arzneimittelwirkstoffe, beispielsweise gegen Hautkrebs identifizieren.
Melanom-Proben verzeihen keine Fehler
Die 25-Jährige untersucht hauptsächlich Hautkrebs mithilfe von Melanom-Proben aus Mäusen. Das Biopsiematerial stellt sie allerdings vor eine Herausforderung: „Neutrophile sind in den Maus-Tumoren nur in kleinen Mengen vorhanden. Hinzu kommt, dass auch die Anzahl der Proteine in den Neutrophilen niedrig ist“, erläutert Ghosh. Dementsprechend vorsichtig und genau müsse sie arbeiten, wenn sie die Proben für die Analyse mit dem Massenspektrometer vorbereitet. Schließlich muss die Nachwuchswissenschaftlerin nicht nur aus den Neutrophilen die Proteine herauslösen, sondern diese aufreinigen, also die Peptide (Ketten aus weniger als 100 Aminosäuren) von den ganzen Proteinen (Ketten ab 100 Aminosäuren) trennen. Die Spektren der Peptide im Massenspektrometer lassen später Rückschlüsse darauf zu, welche und wie viele Proteine in den Neutrophilen vorkommen. Um die Neutrophilen-Proteine zu Peptiden sprichwörtlich zu zerschneiden, nutzt die Inderin ein manuelles Verfahren. Allerdings dauert das händische Vorgehen lange und ist mitunter ungenau. Die Folge: Die Proben werden unbrauchbar.

Susmita Ghosh zeigt Julia Sophie Rauch die magnetischen Kügelchen, mit deren Hilfe Verschmutzungen aus Protein-Lösungen entfernt und Peptide herausgelöst werden können.
© ISAS
Roboter soll automatisierten Proteomics-Workflow ermöglichen
Als Rauch, die im Labor bereits mit verschiedenen Robotern gearbeitet hat, von Ghoshs Herausforderung hörte, schlug sie vor, das sogenannte SP3-Protokoll zu automatisieren: Alle Schritte, vom Pipettieren über den Verdau bis hin zur Aufreinigung der Proteine und Peptide mithilfe von magnetischen Kügelchen, sogenannten Beads, könnte der Bravo-Roboter übernehmen. Die Maschine hat gleich mehrere Vorteile: „Ein Mensch schafft es bei diesem empfindlichen Biopsiematerial, pro Tag etwa zehn Proben gleichzeitig zu bearbeiten. Der Bravo-Roboter schafft in einem Durchgang 96 Proben und macht weniger bis kaum Fehler“, sagt Rauch, die seit drei Jahren am ISAS forscht.
Dass sie und Ghosh sich ein Büro teilen, ist ein hilfreicher Zufall: Was vor einigen Monaten als lose Idee im Gespräch zwischen zwei Kolleginnen begann, ist inzwischen zu einer Arbeitsgruppen-übergreifenden Zusammenarbeit gewachsen. Seit Februar 2022 arbeiten die beiden Nachwuchswissenschaftlerinnen daran, den bestehenden manuellen Workflow auf den Roboter zu übertragen. Derzeit versuchen sie, den Roboter fehlerfrei pipettieren zu lassen. Zwar unterscheiden sich aktuell die Volumina nach dem Pipettieren und Lieferengpässe bremsen ihren Nachschub an Equipment für den Roboter. Aber entmutigen lassen sich die beiden davon nicht. Denn sollten sie ihr Ziel erreichen, profitieren davon auch andere Wissenschaftler:innen.
Vorteile für die Krebsforschung & Forscher:innen
Künftig könnte der von Rauch und Ghosh justierte Bravo-Roboter auch bei anderen herausfordernden Proben zum Einsatz kommen. „Ein automatisierter, fehlerfreier Workflow könnte auch die Analyse von anderen Leukozyten, zum Beispiel Lymphozyten optimieren“, erläutert Ghosh. Für Rauch liegt noch ein weiterer Vorteil auf der Hand: „Das viele händische Pipettieren beansprucht die Sehnen in Hand und Arm. Ich kenne viele Kolleg:innen, die deswegen mit Sehnenscheidenentzündungen zu kämpfen haben. Der Roboter könnte also den Laboralltag in jeder Hinsicht deutlich erleichtern.“
Bravo-Roboter: Alleskönner im Labor?
Rauchs und Ghoshs Ziel ist, den Roboter für den automatisierte SP3-Workflow fit zu machen, der folgende Schritte beinhaltet: Nachdem bei der Probenvorbereitung die Proteine aus den Neutrophilen mittels einer chemischen Lösung (Lysis-Puffer) herausgelöst wurden, fügt der Roboter der Protein-Lösung winzige magnetische Perlen zu. Diese binden sich an die Proteine. Im nächsten Schritt stellt die Maschine die 96-Well-Platten – Mikroplatten mit Platz für 96 Probengefäße – auf Magnetplatten. Das Magnetfeld konzentriert die Perlen-Protein-Mischung an einer Stelle. So lassen sich Verschmutzungen wie die Puffer-Reste entfernen. Danach zerteilen Verdauungsenzyme die Proteine zu Peptiden. Da diese sich nicht an die magnetischen Perlen binden, lassen sich die Peptide für die Analyse im Massenspektrometer entnehmen.
(Bettina Dirauf)