Dortmund, 8. August 2024
Greifen Erreger unser Gehirn oder Rückenmark an, sind sie zur Stelle: Mikrogliazellen gehören zu den Immunzellen des Zentralen Nervensystems. Sie können eine wichtige Rolle bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose spielen. Mikrogliazellen sind dafür bekannt, dass sie trotz identischen genetischen Bauplans unterschiedliche Phänotypen (Erscheinungstypen) ausbilden können. Auf RNA- und Proteinebene weiß man um diese Heterogenität bereits lange. Erstmalig auch auf Lipid- und damit auf Stoffwechselebene für einzelne Zellen nachweisen konnten diese Heterogenität nun Forschende der Justus-Liebig-Universität Gießen, des Imperial College London und des ISAS. Dafür erfassten die Wissenschaftler:innen die Lipidsignaturen der einzelnen Mikrogliazellen: deren individuelle und „fettige“ Unterschrift. Bislang konnte die Heterogenität nur für Zellkulturen festgestellt werden. Ihre Forschungsergebnisse haben die Autor:innen im Fachjournal Analytical Chemistry vorgestellt.
Lipide sind molekulare Tausendsassa: sie sind Bestandteil von Zellmembranen, spielen eine wichtige Rolle im Hormonhaushalt und liefern der Zelle Energie. Mit der Lipidsignatur beschreiben Forschende die Menge, Art und chemische Struktur aller Lipide in einem bestimmten Bereich wie etwa einer Gewebe- und Blutprobe. Anhand der einzigartigen Signatur können Forschende einzelne Zellen identifizieren und ablesen, wie die jeweilige Zelle die ihr zur Verfügung stehenden Nährstoffe verstoffwechselt. So hilft die Lipidsignatur zu klären welche Stoffwechselwege bei Erkrankungen beeinflusst sein können. Parkinson, Tumoren oder Herzinfarkte sind solche Erkrankungen. Sie sind sehr heterogen, nicht alle Zellen sind gleich betroffen und unterscheiden sich demnach stark in ihrer Lipidsignatur.
Um die Unterschrift der Mikrogliazellen zu entziffern, nutzten die Forschenden das Verfahren Atmosphärendruck-Matrix-unterstützte Laserdesorption/Ionisation Massenspektrometrie Imaging (AP MALDI-MSI, s. Infobox). Dabei zerlegten die Wissenschaftler:innen die Proben mittels Laserstrahlung zunächst in ihre molekularen Bestandteile, um sie in ihrer Art und Häufigkeit zu bestimmen. Diese Informationen setzen sie anschließend mithilfe einer Software zu einem Bild zusammen, aus dem sich die Lipidsignatur und die räumliche Verteilung ablesen lassen.
Verbesserte Laser erlauben höhere Auflösung
Um die Lipidsignatur der winzig kleinen Zellen erkennen zu können, musste das Autor:innenteam zunächst die örtliche Auflösung der Analytik verbessern. Dabei kam eine speziell angefertigte Ionenquelle zum Einsatz. Außerdem passten sie die Laserenergie an und optimierten den Abstand zwischen der MS-Eingangskapillare und dem Laserbrennpunkt. Eine einzelne Mikrogliazellen hat einen Durchmesser von 45 µm. Durch die Optimierung konnten die Forschenden letztlich die Signalintensität beibehalten und mehr als 100 verschiedene Lipidspezies pro Pixel erfassen.
AP MALDI-MSI
Atmosphärendruck-Matrix-unterstützte Laserdesorption/Ionisation Massenspektrometrie Imaging ist ein bildgebendes Verfahren der Massenspektrometrie. AP MALDI-MSI eignet sich besonders zur Analyse kleiner Biomoleküle wie Metabolite und Lipide. Eine Probe, im Fall der hier genannten Publikation zum Beispiel eine Mikrogliazelle, wird dabei mit einem Laser bestrahlt. Dadurch desorbiert und ionisiert ein Bruchteil des abgetragenen Probenmaterials. Die austretenden Molekülionen lassen sich mithilfe eines Massenspektrometers detektieren. Dabei werden die Massen der Molekülionen, wie bei einer Waage, bestimmt. Die Genauigkeit der Messung ist in der Regel so groß, dass Rückschlüsse auf die elementare Zusammensetzung und so auf die Biomolekülart möglich sind. Die Laserbestrahlung der Probe wird im Labor Punkt für Punkt wiederholt. Anschließend gewinnen die Forschenden mittels spezialisierter Software Verteilungsbilder der einzelnen Molekülionen.
Verräterische Fette geben Hinweis auf Entzündung
Um ihre Methode an einzelnen Zellen zu testen, untersuchten die Wissenschaftler:innen Mikrogliazellen. Die Autor:innen simulierten eine bakterielle Entzündung und verglichen unbehandelte sowie mit Lipopolysacchariden (LPS) stimulierte Zellen. LPS ist ein in bakteriellen Membranen vorkommendes Molekül. Eine Behandlung mit LPS suggeriert den Zellen eine Infektion. Diese reagieren auf den vermeintlichen Bakterien-Angriff mit einer Immunantwort, um die fiktiven Angreifer abzuwehren. In diesem Prozess „erschöpfen“ sich allerdings einzelne Zellen und können die anfallende Energie nicht mehr verarbeiten. Um also diese Überschussenergie abzuspeichern, lagern diese Untergruppen der Zellen die Energie in Form von Triglyceriden in Lipidtropfen ein. Triglyceride sind Lipide, die vom Organismus zur Energiespeicherung genutzt werden. Sie kommen unter anderem in Lipidtropfen oder im Fettgewebe vor. Mit der entwickelten AP MALDI-MSI Methodik konnten die Wissenschaftler:innen die noch aktiven Zellen von der Population der „erschöpften“ Zellen unterscheiden. So gelang es den Forschenden, erstmalig die Heterogenität von einzelnen Mikrogliazellen innerhalb einer Zellpopulation auf Lipidebene nachzuweisen.
Lesetipp
Müller, M.A., Zweig, N., Spengler, B., Weinert, M., Heiles, S.
(2023) Lipid Signatures and Inter-Cellular Heterogeneity of Naïve and Lipopolysaccharide-Stimulated Human Microglia-like Cells. Analytical Chemistry, 95, 11672 – 11679. https://doi.org/10.1021/acs.analchem.3c01533.
Optimierte Behandlungspläne: Lipidsignatur könnte helfen
Die ISAS-Nachwuchsgruppe Lipidomics kooperiert mit Wissenschaftler:innen aus dem Universitätsklinikum Essen, die an Hautkrebs forschen. Gemeinsam möchten sie über die Lipidsignatur herausfinden, ob das heterogene Verhalten – in diesem Fall der Aggressivitätsgrad von Melanomzellen – vom Lipidstoffwechsel abhängt. Perspektivisch wollen die ISAS-Forschenden die Interaktion verschiedener Zelltypen in lebenden Organismen weiter aufklären. So könnte die Lipidsignatur in Zukunft helfen, Erkrankungen wie Hautkrebs in diagnostisch relevantem Gewebe zu erkennen – und gemeinsam mit Partnern aus der Klinik die Therapien zu optimieren.
(Luisa Becher)