Dortmund, 6. Mai 2022
Ihre Kolleg:innen in der ERC-Gruppe Sulfaging nennen Dunja Petrovic (27) auch liebevoll die „Wurm-Lady“. Denn seitdem die Biologin 2018 ihre Promotion im französischen Bordeaux begann und seit 2020 am ISAS fortsetzt, verbringt sie viel Zeit mit Fadenwürmern. Petrovics Alltag im Labor und ihre Freizeit drehen sich um Caenorhabditis elegans, kurz C. elegans. Warum die Fadenwürmer der Serbin helfen, das menschliche Altern zu erforschen und welche Neuerungen der Laborwechsel nach Dortmund mit sich brachte, berichtet die Doktorandin im Interview.

Am ISAS erforscht Dunja Petrovic die Effekte von Schwefelwasserstoff auf Alterungsprozesse im Körper.
© ISAS / Hannes Woidich
Woran forschst du für deine Dissertation?
Petrovic: Ich beschäftige mich mit Schwefelwasserstoff, kurz H2S. Wir wissen, dass er viele wichtige Prozesse in unserem Körper, wie das Altern, beeinflusst. Ich frage mich, wie sich die Abwesenheit der Enzyme, die H2S im Körper produzieren, auf den Organismus auswirkt. Dafür verwende ich als Modellorganismus C. elegans. Für meine Forschung kann ich bei Wildtypen der Fadenwürmer die Gene, die eine Information für diese Enzyme enthalten, „ausknipsen“. Anhand dieser sogenannten mutierten Würmer untersuche ich, wie das Fehlen eines bestimmten Proteinprodukts ihre Entwicklung oder ihre Stressreaktion beeinflusst. Ich schaue mir zum Beispiel ihre Lebensdauer an oder untersuche, wie empfindlich die Würmer auf verschiedene Umweltreize reagieren. Das ist ein Teil meiner Forschungsarbeit.
Der Europäische Forschungsrat hat deinen Arbeitsgruppenleiter, Dr. habil. Milos Filipović, für Sulfaging mit zwei Millionen Euro Forschungsgeld ausgezeichnet. Welches Ziel verfolgt eure Arbeitsgruppe?
Petrovic: Ein wesentlicher Forschungskern unserer Gruppe sind Alterungsprozesse. Mit zunehmendem Alter werden die Proteine in unserem Körper anfälliger für irreversible Oxidation. Der Grund dafür ist der Kontakt mit Wasserstoffperoxid und anderen Oxidationsmitteln, Nebenprodukten unseres Stoffwechsels, deren Menge mit zunehmendem Alter steigt. Auf der anderen Seite werden unsere Abwehrmechanismen weniger effizient. Hier kommt H2S ins Spiel. Dieses Gas kann mit oxidierten Cysteinen reagieren und Persulfide bilden. Wir glauben, dass dieser Prozess, die so genannte Persulfidierung, eine Überoxidation der Proteine verhindert und somit ihre Funktion bewahrt. Ich möchte verstehen, wie sich das Persulfidom einer Zelle und eines ganzen Organismus während der Alterung verändert. So konnten wir beispielsweise zeigen, dass die Persulfidierung in verschiedenen Modellsystemen mit dem Alter abnimmt.
Lassen sich die Ergebnisse aus der Arbeit mit den Würmern auf Menschen übertragen?
Petrovic: Natürlich sind die Würmer, biologisch betrachtet, viel einfacher als wir Menschen. Einige grundlegende Signalwege im Körper können wir aber dank ihnen verstehen und auf diesen Erkenntnissen dann aufbauen. Hier spielt die Zeit eine entscheidende Rolle. Im Gegensatz zu Säugetieren, bei denen mehrere Jahre vergehen, bis sie zu altern beginnen, entwickelt sich C. elegans in nur drei Tagen vom Ei zum erwachsenen Tier. Während ihrer etwa zwei bis dreiwöchigen Lebensdauer können wir somit den gesamten Alterungsprozess verfolgen. Es ist so, als würde man eine alte Person durch das Mikroskop beobachten. Die Tiere bewegen sich weniger als zu Beginn ihrer Entwicklung und ihre Körper sehen fast schon faltig aus.
Was macht die Arbeit mit diesen Würmern so besonders?
Petrovic: Die Würmer sind leicht zu halten und mit einer Größe von nur etwa einem Millimeter sind sie sehr klein. Sie entwickeln sich schnell, sodass ich in kurzer Zeit Ergebnisse von einer Vielzahl von Tieren erhalte. Das ist nicht nur praktisch, sondern vereinfacht auch die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Ein großer Vorteil ist auch, dass C. elegans bereits gut erforscht ist. Es gibt eine große Datenbank, bekannt als Wormbase, mit fast allen denkbaren Mutationen und relevanten Informationen. Es ist ein spannendes Forschungsfeld und ein positives Miteinander, denn die gesamte „Wurm-Community“ arbeitet eng zusammen und teilt viele Ergebnisse und Erkenntnisse rund um C. elegans untereinander. Für mich sind die Fadenwürmer ein Vollzeitjob: Wenn Experimente über einige Tage laufen, kann ich nicht einfach aufhören oder mich etwas Anderem widmen. Deswegen dreht sich manchmal alles nur um die Würmer – auch in meiner Freizeit.

Während der Wachstumsphase von C. elegans verbringt Dunja Petrovic unzählige Stunden im Labor, um die Entwicklung der Fadenwürmer engmaschig untersuchen zu können. Ihren Arbeitsplatz bezeichnet die Doktorandin mit einem Augenzwinkern als Wormland.
© Privat
Förderung des Forschungsprojekts Sulfaging
Für dieses Projekt wurden Fördermittel des Europäischen Forschungsrats (ERC) im Rahmen des Programms der Europäischen Union für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ bereitgestellt (Finanzhilfevereinbarung Nr. 864921).
Wie bist du zu deinem Forschungsgebiet gekommen?
Petrovic: Ich wollte von vornherein gerne im Ausland promovieren und hörte davon, dass mein jetziger Arbeitsgruppenleiter eine Promotionsstelle frei hatte. Das Projekt Sulfaging hat mich sofort begeistert, da ich mich in Serbien auch mit neurodegenerativen Erkrankungen beschäftigt habe. Ich fand es spannend, neben den genetischen Aspekten, die ich aus der Molekularbiologie gut kenne, auch die biochemischen Prozesse zu erforschen. Zuvor habe ich allerdings nur mit menschlichen Blutproben gearbeitet. Die Arbeit mit lebenden Organismen wie C. elegans war daher eine neue Erfahrung für mich. In Bordeaux, wo unsere Arbeitsgruppe früher geforscht hat, gab es eine Wurmexpertin. Von ihr habe ich sehr viel gelernt. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich die einzelnen Entwicklungsstadien wirklich sicher bestimmen und mit den winzigen Tieren umgehen konnte. Mittlerweile unterrichte ich andere im Umgang mit C. elegans.
Was hat der Umzug ans ISAS für dich und deine Forschung bedeutet?
Petrovic: Als wir im Oktober 2020 nach Dortmund ungezogen sind, war ich gerade am Ende meines zweiten Promotionsjahres. Hier mussten wir uns nicht nur umgewöhnen, sondern auch einige Dinge von Grund auf neu aufbauen. Das war natürlich erstmal schwierig und kostete viel Zeit. Am Ende hat es sich aber gelohnt, weil wir am ISAS viele Möglichkeiten haben, die wir woanders nicht hätten. Hier können wir viele verschiedene Analysemethoden nutzen und mit den anderen Arbeitsgruppen zusammenarbeiten. In letzter Zeit haben wir uns zum Beispiel auf die Entwicklung und Optimierung unserer Methode für Proteomics-Analysen konzentriert. Damit gewinnen wir nicht nur einen Einblick in die Proteinpersulfidierung und deren Dynamik unter verschiedenen Bedingungen, sondern auch in das gesamte Zellproteom. Diese aussagekräftigen Daten ermöglichen es uns, ein viel umfassenderes Bild der Vorgänge in der Zelle zu erhalten. Damit können wir die Alterungsprozesse großflächiger verstehen. Wir nutzen auch bildgebende Verfahren, wie die Fluoreszenzmikrospie. Am ISAS City nutzen wir das Konfokalmikroskop, um interessante Bereiche in den Zellen oder Würmern zu lokalisieren. So können wir sehen, wie ausgeprägt die Persulfidierung in verschiedenen Körperregionen der Würmer ist.
Deine Promotion neigt sich dem Ende zu. Was sind deine Pläne für danach?
Petrovic: Ich möchte auf jeden Fall in der Forschung bleiben. Von Milos Filipović, habe ich gelernt, wie wichtig es ist, zu lieben, was man tut. Ich bin einfach gerne im Labor und habe Spaß an meiner Arbeit. Meine Berufswahl ermöglicht es mir, viel zu Reisen und in anderen Ländern zu arbeiten. Nach meiner Promotion möchte ich das nutzen, um Erfahrungen in verschiedenen Laboren zu sammeln, bevor ich mich fest an einem Ort niederlasse.
(Das Interview führte Cheyenne Peters)
Lesetipp
Petrovic D, Kouroussis E, Vignane T, Filipović M. The Role of Protein Persulfidation in Brain Aging and Neurodegeneration. Front. Aging Neurosci. 2021 Jun;13:674135. doi: 10.3389/fnagi.2021.674135