Zum Inhalt springen

Biomarker für Babys mit seltenen Erkrankungen

Dortmund, 4. August 2022

Kleinkinder, die kaum sitzen, geschweige denn krabbeln oder laufen können: Obwohl sie mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) an einer seltenen Erkrankung leiden, häuften sich die Patient:innenfälle in der medialen Berichterstattung in den vergangenen Jahren. Der Grund für das Medieninteresse lag und liegt in den hohen Kosten einer 2020 in Europa zugelassenen Gentherapie für SMA: Eine Dosis Zolgensma® (Onasemnogen-Abeparvovec) kostet ca. zwei Millionen Euro und ist damit wesentlich teurer als das Alternativmedikament Spinraza® (Nusinersen). Zolgensma® soll bei Patient:innen unter zwei Jahren die fortschreitende Muskelschwäche nach einmaliger Gabe aufhalten. Um zu beurteilen, ob die SMA-Therapien anschlagen und wie sie verlaufen, kommen in der Praxis Biomarker als sogenannte Progressionsmarker ins Spiel. Am ISAS haben Wissenschaftler:innen beim Projekt »Gen- und Protein-Signaturen als GPS für Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen« (koordiniert vom Universitätsklinikum Essen) ein Protein identifiziert, mit dessen Hilfe sich die SMA-Therapie optimieren lassen könnte.

Die Mikroskop-Aufnahmen zeigen gefärbte Muskelbiopsien von sieben SMA-Patient:innen im Alter von 2 und 15 Jahren, die keine medikamentöse Therapie erhalten hatten. Ergebnis: Im Vergleich zu den Kontroll-Proben von gesunden Personen war das Protein Cathepsin D als einheitliches Muster in allen Proben herabreguliert. Als Kontrolle führten die Wissenschaftler:innen eine weitere Immunfärbung eines anderen Proteins, LC3, durch. Hierbei zeigten sich keine Veränderungen in den Muskelzellen von SMA-Patient:innen.

Die Mikroskop-Aufnahmen zeigen gefärbte Muskelbiopsien von sieben SMA-Patient:innen im Alter von 2 und 15 Jahren, die keine medikamentöse Therapie erhalten hatten. Ergebnis: Im Vergleich zu den Kontroll-Proben von gesunden Personen war das Protein Cathepsin D als einheitliches Muster in allen Proben herabreguliert. Als Kontrolle führten die Wissenschaftler:innen eine weitere Immunfärbung eines anderen Proteins, LC3, durch. Hierbei zeigten sich keine Veränderungen in den Muskelzellen von SMA-Patient:innen.

© Neuromuskuläes Labor der Klinik für Kinderheilkunde 1 am Universitätsklinikum Essen

Bei der Erbkrankheit SMA handelt es sich um eine Erkrankung der Nerven des Rückenmarks, der Motoneuronen. Ausgelöst wird SMA durch eine Mutation im Gen für das überlebende Motoneuron 1 (SMN1). Dieses Gen ist für die Produktion des SMN-Proteins »Survival Motor Neuron« verantwortlich, das die Gesundheit und normale Funktion der Motoneuronen aufrechterhält. Diese regulieren die Muskelaktivität, indem sie Signale aus dem zentralen Nervensystem senden – dem Teil des Nervensystems, das Gehirn und Rückenmark umfasst. Eine Degeneration der Motoneuronen führt zu einer allmählichen Abnahme der Muskelmasse und -stärke. Wenn es zu Schäden an den Neuronen kommt oder sie wie bei SMA absterben, setzt der Körper Strukturproteine, die Neurofilamente, im Blutkreislauf oder in der sogenannten Zerebospinalflüssigkeit (Gehirn und Rückenmark) frei. „Bei jungen SMA-Patient:innen ist die Anzahl der Neurofilamente erhöht. Während der Behandlung mit Spinraza® nehmen sie schneller ab als bei unbehandelten Patient:innen. Signifikante Veränderungen sind jedoch meist bei Kindern unter einem Jahr zu beobachten“, sagt Dr. Andreas Hentschel, Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Translationale Analytik.

Cathepsin D als Progressionsmarker

Wie könnte ein Protein dabei helfen, die Therapie bei SMA zu optimieren? „Wir haben festgestellt, dass die Cathepsin-D-Werte in Liquor-Proben in unserer Kohorte von SMA-Patient:innen unter der Therapie mit Spinraza® abnehmen“, erläutert Hentschel.

Portrait Andreas Hentschel.

Dr. Andreas Hentschel forscht unter anderem zu Biomarkern zur Kontrolle der Therapie und des Erkrankungsverlaufs bei SMA-Patient:innen.

© ISAS

Dieser Rückgang erschien laut dem Wissenschaftler bei allen SMA-Subtypen und Alterskategorien von zwei Monaten oder darüber. Zudem war die Abnahme bei Patient:innen, die eine positive motorische Reaktion auf die medikamentöse Behandlung zeigten, stärker ausgeprägt.

„Obwohl unsere Kohorte zu klein war, um Altersgruppen und SMA-Subtypen innerhalb der Gruppe der Therapie-Responder zu vergleichen, halten wir diese Ergebnisse für sehr vielversprechend. Sie deuten darauf hin, dass der Cathepsin-D-Spiegel als Biomarker auch bei älteren SMA-Patient:innen geeignet ist – in Kombination mit der Analyse des Proteins neurofilament light chain bei Jugendlichen oder als alleiniger Marker bei Erwachsenen“, resümiert Hentschel. Es seien weitere Validierungsstudien in größeren Kohorten und mit Serumproben erforderlich, um die Anwendbarkeit von Cathepsin D als Progressionsmarker für die verschiedenen SMA-Behandlungen zu überprüfen.

Schorling, D., Kölbel, H., Hentschel, A et al., 2022. Cathepsin D as biomarker in cerebrospinal fluid of nusinersen‐treated patients with spinal muscular atrophy. European Journal of Neurology, 29(7), pp.2084-2096.

(Sara Rebein)

Das Projekt »Gen- und Protein-Signaturen als GPS für Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen« wurde vom Land Nordrhein-Westfalen unter Einsatz von Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFrE) 2014-2020 »Investitionen in Wachstum und  Beschäftigung« gefördert (Förderkennzeichen EFrE-0801301).

Teilen

Weitere Beiträge

18. April 2024

PODCAST »NACHGEFORSCHT – DIE LIVESCHALTE INS LABOR« Folge 9: Hinter den Kulissen der Mikroskopie – die Arbeitswelt einer Technischen Assistentin

Im Labor stets den Durchblick zu behalten, ist nur eine der vielen Aufgaben von Luisa Röbisch. Sie ist Technische Assistentin in der Arbeitsgruppe Bioimaging. Wie die Arbeit mit hochmodernen Mikropen aussieht und wie ihre Leidenschaft für das winzig Kleine begann, berichtet die Biotechnologin in einer neuen Folge des ISAS-Podcasts.

28. März 2024

Neue „grüne“ Mikroskopie: weniger Strom, dafür mehr Informationen über Immunzellen

Hochentwickelte Technologien wie hochauflösende Mikroskope produzieren große Datenmengen. Und die verbrauchen wiederum große Mengen an Strom. Hinzu kommen Kühlschränke für Proben, Abzüge und kleine technische Geräte. Während das ISAS strukturell umrüstet, um grüner zu werden, arbeiten Forschende am Institut bereits an Methoden, um die Mikroskopie generell energiesparender zu machen. Die Höchstleistung der Technologie stellt dabei kein Problem dar – im Gegenteil.

Das Bild zeigt eine schematische Darstellung der Datenverarbeitung in der Mikroskopie.
13. März 2024

Leberzirrhose: Wandernde Immunzellen als Frühwarnsystem

Für die Lebenserwartung von Patient:innen mit einer Leberzirrhose ist es entscheidend, ob und welche krankheitsassoziierten Komplikationen wie Infektionen auftreten. Bislang fehlte jedoch die Möglichkeit, Letztere frühzeitig vorherzusagen. Ein Problem, das Ärzt:innen daran hindern kann, rechtzeitig Antibiotika zu verabreichen oder sogar eine Lebertransplantation durchzuführen. Am ISAS gingen Forschende um Prof. Dr. Matthias Gunzer deswegen der Frage nach: Könnte die Beweglichkeit bestimmter Immunzellen der entscheidende Hinweis auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sein?

29. Februar 2024

3 Fragen an … Dr. Christopher Nelke

Als Teilnehmer des Clinician-Scientist-Programms und Arzt an der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) erforscht Dr. Christopher Nelke neuromuskuläre Erkrankungen. Im Interview berichtet er von seinem zweiwöchigen Gastaufenthalt am ISAS und den Herausforderungen, die sich zwischen Klinikbett und Forschung ergeben.

Das Bild zeigt Dr. Christopher Nelke im Labor. In den Händen hält er eine Probe. The picture shows Dr Christopher Nelke in the laboratory. He is holding a sample in his hands.
20. Februar 2024

SARS-CoV-2: Neueste Methoden klären Wirkstoffe und Wirkprinzip uralter Selbstmedikation auf

Prophylaktische, lindernde oder gar heilende Substanzen, meist Naturstoffe, sind der Naturmedizin seit Urzeiten bekannt. Doch wie sieht es bei viralen Infekten aus? Lassen sich Tees aus Salbei oder Perilla auch – egal ob vorbeugend oder heilsam – gegen Infektionen mit SARS-CoV-2 einsetzen? Diesen Fragen ging ein interdisziplinäres Team aus Forschenden um Prof. Dr. Mirko Trilling von der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen (UDE) und Wissenschaftler:innen am ISAS während der Coronavirus-Pandemie nach.

Das Bild zeigt Prof. Dr. Mirko Trilling mit verschränkten Armen, an einer Wand lehnend. The picture shows Prof Dr Mirko Trilling with his arms folded, leaning against a wall.
7. Februar 2024

Eine lang gesuchte Kombinations-Methode in der Massenspektrometrie

Forschende, die komplexe Proben mittels Massenspektrometer analysieren, stehen oft vor dem Problem, dass die enthaltenen Substanzen fundamental verschieden sind. Einige sind etwa chemisch polar aufgebaut, andere unpolar. Bisher erforderte dies zwei aufwändige separate Analysen. Am ISAS hat ein Forscher nun eine Methode entwickelt, mit der auch wenig polare Substanzen in einer gängigen massenspektrometrischen Analyse für polare biologische Stoffe miterfasst werden.

Daniel Foest steht im Labor und hält ein Papier mit einer Leberprobe, die er am Massenspektrometer untersucht.
12. Januar 2024

„Meine Forschung ist ein Knochenjob"

Darleen Hüser sucht nach dem immunzellulären Fingerabdruck bei rheumatoider Arthritis. Woran die Doktorandin messerscharf forscht und wozu sie verschiedene Mikroskope benötigt, gibt sie im Interview preis.

Das Porträt zeigt ISAS-Doktorandin Darleen Hüser aus der Arbeitsgruppe Bioimaging.
21. Dezember 2023

Science Slam: humorvolle Wissenschaftskommunikation macht allen Spaß

Sprechendes Laborequipment, Künstliche Intelligenz und Expertise vom Nordpol - diese bunte Mischung an Themen zeichnete den jüngsten Science Slam am Institut aus. Wie Wissenschaftskommunikation allen Beteiligten Freude bereiten kann, stellten vier ISAS-Mitarbeitende mit ihrem Fachwissen und viel Witz unter Beweis.

Luisa Becher fotografiert die vier Teilnehmenden des ISAS Science Slam.
20. Dezember 2023

Die Kunst des Abwägens: Genauigkeit in der Bildanalyse

Welche Herausforderungen bei der Analyse von Mikroskop-Aufnahmen lassen sich mit Künstlicher Intelligenz meistern, wenn man diese frühzeitig einbezieht? Warum sollten Wissenschaftler:innen schon bei der Planung ihres Experiments auch an die Zielmetriken der Bildanalyse denken? Seine kürzlich im Fachjournal Nature Methods veröffentlichten Tipps hat Dr. Jianxu Chen nun als eine Art Checkliste für Forschende zusammengestellt.

Die Abbildung zeigt eine Wage und symbolisiert das Gleichgewicht zwischen Analyse und Genauigkeit bei der Validierung von biomedizinischen Aufnahmen.