Zum Inhalt springen

Auf der Spur von betrügerischen Immunzellen

Dortmund, 28. Juli 2021

Unser Immunsystem soll uns vor Krankheiten schützen. Doch wieso können ausgerechnet die eigenen Abwehrzellen manche Erkrankungen wie Krebs sogar verschlimmern? Diese Frage beschäftigt die Biologin Julia Lill. Im Januar 2020 begann sie, am ISAS in der Arbeitsgruppe Biospektroskopie an spezialisierten Immunzellen der angeborenen Immunantwort (s. Infobox), den Neutrophilen Granulozyten (Neutrophile) zu forschen. Die Essenerin will verstehen, welche Rolle diese Zellen im Mikromilieu eines Tumors spielen und wieso sie dessen Wachstum mitunter begünstigen können.

Als Reaktion auf ein Tumorleiden bilden die Blutstammzellen im Knochenmark vermehrt Neutrophile, die dann in den Tumor gelangen. Anstatt diesen zu bekämpfen, entwickeln die Immunzellen jedoch oft tumorfördernde Eigenschaften. So können sie beispielweise Stoffe produzieren, die die entarteten Zellen dabei unterstützen andere Immunzellen, wie die T-Zellen des angeworbenen Immunsystems, ‚einschlafen‘ zu lassen. Die Folge: Der Tumor kann nahezu ungehindert wachsen. Um diesen Mechanismus mitsamt seinen Ursachen zu verstehen, hat Lill am ISAS aus Neutrophilen aus dem Knochenmark, Blut oder Tumor von Mäusen einen Datensatz aus 3.500 beteiligten Proteinen erstellt, um daraus die entscheidenden Moleküle zu identifizieren. „Wenn ich die Proteom-Daten unter die Lupe nehme, erzählen sie mir eine Geschichte. Ich kann sehen, welche Proteine der Neutrophilen im Tumor verglichen mit normalem Gewebe anders reguliert sind“ berichtet die 28-Jährige. Auf Basis ihrer Daten können Forscher:innen herausfinden, welche Proteine sie genauer untersuchen sollten, um zukünftig passende Angriffspunkte für Medikamente (Targets) zu entwickeln. Eine gezielte Arzneimitteltherapie könnte so die tumorfördernden Eigenschaften der Neutrophile blockieren.

Neutrophile sind vielseitig relevant

Bereits für ihre Dissertation, die sie im Frühjahr 2021 mit der Auszeichnung summa  cum laude abschloss, hat Lill die Immunantwort des Körpers durch Neutrophile untersucht. Im Fokus ihrer Arbeit am Universitätsklinikum Essen standen sogenannte enterohämorrhagische Escherichia coli, besser bekannt als EHEC-Erreger. Sie produzieren ein zellschädliches Protein (Shigatoxin), das schwere Entzündungsreaktionen im Körper verursachen kann. Ähnlich wie bei einem Tumor, können die Neutrophilen ‚überreagieren‘ und dem Körper dadurch mehr schaden als ihn zu schützen.

Vom ISAS nach Harvard

Ab Juli 2021 wird Lill an der Harvard University forschen. „Julia hat sich in kürzester Zeit in die für sie völlig neue Technik der Proteom-Analyse eingearbeitet. Die ersten Daten sind hoch spannend. Trotz gerade mal eineinhalb Jahren Aufenthalt hat sie sich bereits ein großes Netzwerk am ISAS aufgebaut. Sie wird uns fehlen, aber auf ihren Grundlagen können wir jetzt mit neuen Kräften weiterarbeiten“, sagt Prof. Dr. Matthias Gunzer, Leiter der Abteilung Biospektroskopie am ISAS. In den USA will Lill ihr Wissen aus ihrer Doktorarbeit und der Forschung am ISAS verbinden, um die Immunantwort im Tumormikromilieu mittels der Mikroskopie am lebenden Tier (Intravitalmikroskopie) besser zu verstehen.

Angeborene und erworbene Immunantwort

Das Immunsystem ist das Abwehrsystem des Körpers. Es besteht aus zwei Teilen, die verschiedene Aufgaben haben: Die angeborene (unspezifische) Immunabwehr, zu der auch die Neutrophile gehören, reagiert schnell auf Fremdstoffe im Körper. Die beteiligten Immunzellen unterscheiden jedoch kaum zwischen einzelnen Erregern und sind oft nicht ausreichend wirksam. Die Zellen der erworbenen (adaptiven/spezifischen) Immunantwort, wie die T-Zellen, brauchen zwar deutlich länger, können aber gezielt gegen bestimmte Erreger vorgehen.

(Cheyenne Peters)

A portrait of Julia Lill.

Dr. Julia Lill forschte am ISAS an der Immunantwort durch Neutrophile Granulozyten.

© ISAS

Teilen

Weitere Beiträge

3. Januar 2025

Wertvolle Verbindungen: Dr. Julia Lill

Dr. Julia Lill forschte von 2020 bis 2021 am ISAS. Mittlerweile ist sie Senior Scientist im Team für Krebsimmunologie bei BioNTech in Cambridge (USA). Wie sie ihre Zeit am ISAS zu diesem Forschungsfeld brachte und welche Relevanz ein funktionales Netzwerk dabei hat, berichtet die Immunologin in der ISAS-Kompakt Reihe "Wertvolle Verbindungen".

A portrait of Julia Lill.
27. Dezember 2024

Trauer um Jürgen Bethke

Das ISAS trauert um seinen Kaufmännischen Vorstand Jürgen Bethke, der nach kurzer, schwerer Krankheit am 12. Dezember verstorben ist.

Trauer um Jürgen Bethke.
10. Dezember 2024

Xiaowei Xu kommt als Humboldt-Stipendiat zum ISAS

Prof. Dr. Xiaowei Xu forscht ab Februar 2025 als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung am ISAS. Im Interview berichtet er von seiner Forschung zu Künstlicher Intelligenz in der Gesundheitsforschung und seinen Plänen in Dortmund.

Portrait von Prof. Dr. Xiaowei Xu.
26. November 2024

„Ich verstehe uns als Brücke zwischen Grundlagenforschung und Klinik"

Prof. Dr. Dr. Alpaslan Tasdogan leitet in der Klinik für Dermatologie am Universitätsklinikum Essen das Institut für Tumor-Metabolismus. Mit seiner Arbeitsgruppe forscht er dort unter anderem zu Metastasen und zum Stoffwechsel von Hautkrebszellen. Seit Mai 2024 leitet er darüber hinaus eine zweite Arbeitsgruppe in Dortmund – Details gibt es im Interview.

Prof. Dr. Dr. Apaslan Tasdogan.
21. November 2024

PODCAST »NACHGEFORSCHT – DIE LIVESCHALTE INS LABOR« Folge 10: Resource Awareness in Biomedical Image Analysis

Dr. Jianxu Chen leitet am ISAS die Arbeitsgruppe AMBIOM – Analysis of Microscopic BIOMedical Images. In der ersten englischsprachigen Episode von »NACHGEFORSCHT – DIE LIVESCHALTE INS LABOR« berichtet er von seinem Weg aus der Mathematik hin zu den Lebenswissenschaften und wie er die Analyse biomedizinischer Daten nachhaltiger machen möchte - auf vielen Ebenen.

14. November 2024

Wertvolle Verbindungen: Prof. Dr. René Zahedi

Prof. Dr. René Zahedi war von 2008 bis 2017 unter anderem als Nachwuchs- und Arbeitsgruppenleiter am ISAS. Mittlerweile lebt, forscht und lehrt er in Kanada - das Forschungsnetzwerk aus seiner Zeit am ISAS begleitet den Wissenschaftler aber weiterhin bei seiner Arbeit. Zahedi ist einer der Kolleg:innen, die in den folgenden Wochen und Monaten einen Einblick in die wertvollen Verbindungen innerhalb und außerhalb des Instituts geben.

Prof. Dr. René Zahedi.
8. November 2024

Das Matroschka-Prinzip zur Analyse biologischer Strukturen

Im Projekt »KI-assistierte Bildgebung von großen Geweben« arbeiten mehrere ISAS-Forschungsgruppen an der Kombination verschiedener mikroskopischer und massenspektrometrischer Verfahren. Wie bei einer Matroschka-Puppe blickt das Team mit jedem Schritt tiefer in die biologischen Strukturen einer Probe hinein.

Flora Weber am Lichtblattfluoreszenzmikroskop.
31. Oktober 2024

KI im Gesundheitswesen: Warum ist es besser, klein statt groß zu denken?

Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema, wenn es um künstliche Intelligenz in der Gesundheitsforschung geht. Eine Gruppe von internationen Forschenden, unter anderem aus dem ISAS, hat sich mit diesem Thema beschäftigt und dazu ein Perspective in Nature Machine Intelligence veröffentlicht. Einen Einblick gibt Prof. Dr. Yiyu Shi im Interview.

Portrait von Prof. Dr. Yiyu Shi.
25. Oktober 2024

Wertvolle Verbindungen: Dr. Saskia Venne

Dr. Saskia Venne hat von 2012 bis 2016 am ISAS promoviert. Heute ist sie Teamleiterin bei Boehringer Ingelheim Pharma. In diesem Interview gibt sie als Erste einen Einblick in die wertvollen Verbindungen innerhalb und außerhalb des Instituts, über die aktuelle und ehemalige ISAS-Forschende in den kommenden Wochen bei ISAS Kompakt berichten werden.

Dr. Saskia Venne.