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Neue „grüne“ Mikroskopie: weniger Strom, dafür mehr Informationen über Immunzellen

Dortmund, 28. März 2024

Großgeräte wie verschiedene Massenspektrometer und unterschiedliche Mikroskope, kleines technisches Equipment, Abzüge, Kühl- und Tiefkühlschränke mit Minus 80 Grad Celsius – dies ist nur ein kleiner Einblick in den Technologiebestand, für den das ISAS Strom benötigt. Hinzu kommen andere Bereiche außerhalb der Labore, deren Betrieb ebenfalls elektrische Energie erfordert. Allein am Standort ISAS City lag der Stromverbrauch im Jahr 2020 bei 743.360 Kilowattstunden. Das ist so viel wie fast 150 Haushalte mit drei und mehr Personen 2020 durchschnittlich verbraucht haben.

„Je hochentwickelter die Technologie, desto höher ist der Output an Informationen. Das Ergebnis sind zunehmende Datenmengen, aber leider auch eine steigende Rechenleistung für deren Verarbeitung“, sagt Prof. Dr. Matthias Gunzer, Leiter der Abteilung Biospektroskopie am ISAS und Direktor des Instituts für Experimentelle Immunologie und Bildgebung am Universitätsklinikum Essen. Um das Institut in puncto Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln, hatte das ISAS 2019 ein Blockheizkraftwerk in Betrieb genommen, die Weichen für eine Photovoltaikanlage gestellt und sich für Flüssiggas entschieden. Doch reichen diese Maßnahmen allein für eine klimafreundliche und damit zukunftssichere Forschung? Gunzers Antwort: „Wichtig ist, auch den Energieverbrauch der Technologien in der Forschung zu reduzieren. Gleichzeitig möchten wir trotzdem ihre Leistung erhöhen.“ Was zunächst wie ein Widerspruch klinge, lasse sich bei cleverer Planung umsetzen und beinhalte auch noch spannende Aufgaben in der Forschung und Entwicklung.

Das Bild zeigt eine schematische Darstellung der Datenverarbeitung in der Mikroskopie.

© Flaticon / ISAS

Das Foro zeigt Prof. Dr. Matthias GUnzer im Porträt.

Prof. Dr. Matthias Gunzer leitet die Abteilung Biospektroskopie und die Forschungsgruppe Biofluoreszenz am ISAS. Er ist Direktor des Instituts für Experimentelle Immunologie und Imaging am Universitätsklinikum Duisburg-Essen.

© ISAS / Hannes Woidich

Akkurate Bildanalyse trotz niedrigem Energieverbrauch

Ein Beispiel aus dem Bereich Imaging verdeutlicht: Mit dem technischen Fortschritt gehen ultrahochauflösende Mikroskop-Aufnahmen einher, die einen hohen Informationsgehalt haben. Diese Aufnahmen erzeugen große Datenmengen. Allein diese Daten zu speichern und bereitzustellen, kostet viel Energie. Hinzu kommt, dass die Analyse der Daten mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) eine starke Rechenleistung erfordert, die wiederum einen hohen Stromverbrauch verursacht. Daher arbeiten am ISAS KI-Experten daran, den Energieverbrauch für die Datenspeicherung zu reduzieren und trotzdem die Analyse-Qualität der Aufnahmen zu erhöhen. Dazu entwickeln sie zunächst Methoden, die eine Komprimierung der Daten ohne den Verlust von Schlüsselinformationen ermöglichen. Kleinere Dateien verursachen einen geringeren Energieverbrauch beim Speichern als größere. „Wir entwickeln außerdem neue Software, die ein Maximum an Bildinformationen aus einer Kilowattstunde Strom für die Analyserechnungen herausholt und trotz niedrigem Energieverbrauch noch akkuratere Bildanalysen als bisher erlaubt“, ergänzt Dr. Jianxu Chen, Leiter der Forschungsgruppe AMBIOM – Analysis of Microscopic BIOMedical Images. Doch nicht nur die Verarbeitung und Analyse der Daten spielt bei der Reduktion des Stromverbrauchs eine Rolle. Für die ISAS-Forschenden ist auch entscheidend, was vorher im Labor bei der Mikroskopie passiert.

Das Bild zeigt Dr. Jianxu Chen mit den beiden Doktoranden Yu Zhou und Justin Sonneck an einem Tisch. Im Hintergrund ist ein Bildschirm mit einer ihrer Anwendungen zu sehen.

Gemeinsam mit ihrem Arbeitsgruppenleiter Dr. Jianxu Chen (mittig) entwickeln die Doktoranden Yu Zhou (links) und Justin Sonneck verschiedene KI_basierte Tools für die grüne Mikroskopie.

© ISAS/Hannes Woidich

ComplexEye: 30 Mal weniger Energie als herkömmliche Mikroskope

Um einzelne Zellbewegungen und Zellformen in Echtzeit verfolgen zu können, haben Forschende am Universitätsklinikum Essen und ISAS das ComplexEye entwickelt. In einem einzigen Messgerät kombiniert der Prototyp 16 Mikroskope (geplant sind zukünftig 96), die gleichzeitig über einen bestimmten Zeitraum hinweg Aufnahmen von beispielsweise Immunzellen wie neutrophilen Granulozyten machen können. Diese fügen die Wissenschaftler:innen anschließend als Videosequenzen von Hunderten einzelner wandernder Immunzellen zu einem Zeitraffer-Video zusammen. „Obwohl es in kurzer Zeit mehr Aufnahmen generiert als herkömmliche Mikroskope, verbraucht das ComplexEye für dieselbe Menge an Informationen derzeit rund 30 Mal weniger Energie, als ein herkömmliches System“, erklärt Gunzer. 

Immunzellen suchen im Körper ständig nach infektiösen Eindringlingen oder sich entwickelnden Krebserkrankungen. Die wandernden Immunzellen können jedoch auch Schaden anrichten. So ist beispielsweise die Infiltration wachsender Tumoren mit Neutrophilen für Patient:innen mit einer schlechten Prognose verbunden. Das ComplexEye ermöglicht eine Hochdurchsatzanalyse der Migration von Immunzellen und liefert wichtige Informationen, die Wissenschaftler:innen bisher gar nicht ermitteln konnten. So könnte es mithilfe des neuen Mikroskops gelingen, neuartige Wirkstoffe für die Krebsbehandlung zu finden, deren Wirkung darauf beruht, dass sie die Einwanderung von Neutrophilen in Tumoren verhindern.

Um herauszufinden, wie existierende Arzneimittelwirkstoffe die Migration von Neutrophilen Granulozyten beeinflussen, brachten die Essener Forschenden die Proben mit jeweils verschiedenen Substanzen (via Lead Discovery Center, Dortmund) in Verbindung. Für die anschließende Analyse der Immunzellen programmierten die Dortmunder KI-Experten 2022 eine passgenaue Anwendung. „Wir haben eine Software basierend auf verschiedenen Methoden der Künstlichen Intelligenz entwickelt, weil gängige Computerprogramme für die biomedizinische Forschung bei dieser Vielzahl an Videoaufnahmen an ihre Grenzen kommen“, sagt Chen. Dies mittels ComplexEye gewonnenen und mithilfe KI ausgewerteten Informationen ermöglichen dabei auch neue Diagnostiken – beispielsweise um Sepsen (Blutvergiftungen) früher erkennen und damit besser therapieren zu können.

Lesetipp

Cibir, Z., Hassel, J., Sonneck, J. et al. ComplexEye: a multi-lens array microscope for high-throughput embedded immune cell migration analysis. Nat Commun 14, 8103 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-43765-3.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die MSCoreSys-assoziierte Nachwuchgruppe AMBIOM – Analysis of Microscopic BIOMedical Images unter dem Förderkennzeichen 161L0272.

(Sara Rebein)

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